Bio, fair, regional, saisonal. Im besten Fall alle beisamm. Obst, Gemüse, guter Käse. Glas statt Plastik. „Zero Waste“ so weit es geht, Verzicht auf Müll. Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Kuchen. Keineswegs vom großen Genuss abdanken. Ökologisches Fleischerfleisch mit Sommerweidegebot. Halal mit Zertifikat. Alles im Stoffbeutel, natürlich. So war das schon immer. Essen gehen oder selber kochen? Authentisch, bodenständig, lecker. Hofladen oder Bioladen? Tot der Backstube oder Sehnsucht nach Handwerk. Alte Denkmuster mit neu blockierender Wirkung.

 

Jederman kennt die Geschichte vom Zauberlehrling, der in Abwesenheit seines Meisters einen Besen verzaubert, um diesen zu knechten. Der Besen läuft los und tut, wie ihm befohlen. Eimer für Eimer holt er immer mehr Wasser herbei, bis das Haus unter Wasser zu stehen droht. Ordnung schlägt in Chaos über und die Selbstüberschätzung des Lehrlings endet in Besinnung auf die alte Autorität! Der Meister rückt die Situation ruhig und besonnen recht. Botschaft dieser Ballade ist eigentlich offensichtlich: überschätze dich niemals selbst und habe Respekt gegenüber deinem Meister. Eine andere Betrachtungsweise wäre die Warnung vor der Wissenschaftsverliebtheit und der Forschung und die nicht immer abschätzbaren Folgen dieser Erkenntnisse, wenn man denn dann den Meister nicht als Mensch sondern Personifikation Gottes betrachtet..

 

Gesundheit als Wort vom althochdeutschen „gisunt“, wird als ‚wohlbehalten‘, ‚lebendig‘ und ‚heil‘ definiert. Auf den einzelnen Menschen bezogen, gilt es als Zustand des körperlich und/oder geistig subjektiven Wohlbefindens. Was nun ist aber Gesundheit genauer betrachtet? Gibt es kulturelle oder historische Erscheinungsformen, die Alltagsverständnis decken? Sollte sie nicht universal und befreit von jeglich äußerem Einfluss und Muster sein?

 

EßtvondengutenDingen, mitdenenWireuchversorgthaben..“ (20:81)

Es ist wahr, dass Ernährung großen Ausmaß auf Gesundheit, Wohlbefinden, Lebensdauer und Lebensqualität hat.  Jeder Mensch is(s)t aber auch irgendwie anders gesund. Daher ist es nicht von Nutzen über Ernährungsformen zu streiten oder rigide Regeln über verbotene Lebensmittel aufzulisten. Das richtige Verhältniss und eine ausgewogene, auf den einzelnen Menschen abgestimmte Ernährungsform sollte ausreichen um eigenes Leibeswohl anzustreben. Entscheidend wäre hier viel mehr die Menge an Lebensmittel, die wir täglich zu uns nehmen und die Kombination plus frischer Zubereitung.

 

Schwer wird es auch, da von „der einen Gesundheit“ nicht die Rede sein kann, denn der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und dementsprechend gesundheitlichen Unterschieden ist nicht wegzudenken. Differenzen wie Armut, mangelnde Bildung oder beruflicher Status sind nachgewiesene Konsequenzen für Gesundheitszustand.

 

Die Gesundheit des Menschen ist durch viele unterschiedliche Quellen gespeist[1]. Sie zieht ihre Kraft aus sozialen, materiellen, kognitiven, emotionalen, kulturellen, persönlichen und spirituellenRessourcen. Der Einfluss von Nahrungsmitteln, Bewegung und Schlaf, beispielsweise, bildet eine Basis für die körperliche, aber auch für die mentale und emotionale Gesundheit. Soziale Beziehungen, persönliche Anlagen, kulturelleZugehörigkeiten und Prägungen sowie die spirituelle Verbindung zur Umwelt und ihre Wertigkeit beeinflussen die Gesundheit dynamisch auf unterschiedlichen Ebenen.

 

Das ist die Huld Allahs. Er gibt sie, wem er will. Allah ist voller Huld. (57:21) (Huld: Wohlwollen, Gnade, Gunst, Zuwendung)

Viele mögen der Meinung sein, dass Gesundheit weder Ernährung noch Lebensart ist, sondern eher ein Gemütszustand, der ohne Vernunftüberlegung zu ergründen sei. Doch genau hier sollten wir uns fragen, welchen Einfluss Kultur und Spiritualität auf unsere Gesundheit hat. Kultur nämlich prägt den Menschen in einem allumfassenden System, genauer noch im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln. Spiritualität als Gegenspieler und „persönliche Bezugnahme auf Gott“ oder „psychologische Selbstbespiegelung“ ist durch die Kultur abermals geprägt. Sie bekommt eine große Bedeutung im Alltag vieler Menschen und ist somit eigentlich eine Art Lebensphilosophie und widerum wichtiger Bestandteil von Kultur. Spiritualität basiert jedoch auf individuellen Einstellungen und ist ein tiefes intuitives, jedoch nicht immer bewusst (!) ausgedrücktes Gefühl.

 

„Ihr, die ihr glaubt! Sucht Hilfe in Standhaftigkeit und Gebet; siehe, Allah ist mit den Standhaften.“ (2:153) Standhafte hier  وسطية ist ein arabischer Begriff, der die Bedeutungen Mitte, zentral, ausgewogen, gemäßigt annimmt.

OvidsMetamorphosen sagen, dass man in der Mitte am sichersten geht. Obgleich manch Gemüter Sicherheit mit Stagnation verbinden mögen, da es nichts auszutarieren gibt, oder kein Gegengewicht mehr zur einen oder anderen Seite herstellen muss, ist es doch eigentlich der Zustand, in dem der Seismograf nie ganz nach oben oder ganz nach unten ausschlägt. Es ist halt die wundervolle goldene Mitte. Mittelmeerdiät, Veganismus, Fruganismus, Paleo, Raw Food oder Clean Eating. Chaos in der Ordnung. Kein Katalysator für diese Maßlosigkeit. Alles aufgezählte sind Ernährungsformen, die wie viele Neuzeitphänomene zeigen, dass der Mensch, nachdem er gut und böse definiert hat, Wertesysteme immer wieder neu erschafft. Leben in all seiner Komplexität kann aber nicht an eine einzige Ernährungsform gebunden sein und sollte so frei, wie der Mensch es in seinen Entscheidungen auf Erden ist, sein. Der Vers im Gedicht „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ beschreibt sehr anschaulich die Dilemmata einer Wissenschaft, und die nicht immer abschätzbaren Folgen.

 

Die Achtsamkeit oder die Standhaftigkeit möchte ich in diesem Kontext zum Ende hin auf den Propheten richten. Er wusste, was er aß und er aß, was gut für ihn war. Er nahm nur so viel zu sich, wie es nötig war, um sich auf Beinen halten zu können, jedoch nicht derart, dass er an Gewicht zunahm oder fettleibig wurde. Er lehrte folgende Haltung zum Essen und Trinken: „Der Mensch füllt kein schlechteres Gefäß als seinen Magen. Es genügen ihm schon wenige Happen, um seinen Rücken aufrecht zu halten. Will er aber unbedingt mehr essen, dann sollte er einen Drittel seines Magens mit Essen, einen Drittel mit Wasser füllen und einen Drittel zum Atmen lassen.“ Wichtig ist zu erwähnen, dass es keine Gewohnheit des Propheten war, sich auf nur eine einfältige Ernährung zu konzentrieren. Je nachdem, was in seiner Region bekannt und verbreitet war, aß er. Von den Früchten, vom Fleisch, vom Brot. Er nahm Getränke zu sich, und mochte süße Getränke, die beispielsweise aus Honig und Datteln gemacht wurden.

 

- Von Zeynep Gencer 

 

1  Wikipedia Artikel: Gesundheit

2  Antonovsky, Aaron: Modell der Solutogenese, 1979

3  Eckersley, Richard: SpiritualityandHealth, 2007

4  Knoblauch, Hubert: Soziologie der Spiritualität, 2005

5  Winkler, Ulrich: KniendeTheologie

6 Goethe, Der Zauberlehrling