Mir wird nun die Freude zu Teil, meine LeserInnen mit in eine Zeitreise zu nehmen. Und zwar von einem Punkt der Erde aus, der mein Ursprung bedeutet und der mich auch immer wieder zum Ursprung meiner inneren Kräfte führt. Ich sitze auf dem Balkon mit dem Ausblick auf den Uralten Minarett unseres Dorfes in Konya Beyşehir-Yenidoğan.

Wenn ich das Glück habe einige Tage im Sommer in dem Dorf meiner Urahnen zu verbringen, dann fühlt es sich wie ein digitaler Detox an. In meiner Jugend lernte ich wohl oder übel, mich weniger um Steckdosen zu streiten und Stromausfälle und schlechten Internetempfang hinzunehmen. Hier sind Dinge, die für uns im digitalen Zeitalter normal sind, plötzlich unnormal, es fühlt sich wie eine Reise in die Vergangenheit an.

Die ersten Tage lassen uns die unfassbare Abhängigkeit durch Medien spüren. Als angehende Psychotherapeutin möchte ich fast schon von Entzugserscheinungen sprechen (diese sind bemerkbar durch Gereiztheit, innere Getriebenheit und dem wiederkehrenden Wunsch mit dem Wisch/Drück-Daumen am Smartphonebildschirm eine Netzverbindung herzustellen.

Ich komme aber trotzdem immer wieder gerne hier hin, denn je länger man hier verweilt, passieren sonderbare Dinge:

 

Die Echosfrüherer Jahrhunderte erklingen,

wenn die Pappeln am Gewässer rascheln,

die Spatzen aufgeregt plaudern und die Gräser tuscheln.

Fühlt die Ameisen im Konvoi marschieren,

hört die Heuschrecken ein Lied komponieren,

Riecht die Erde nach dem Regen

und schmeckt den Wind, sie sind ein Segen,

der mit den Bäumen nickend grüßt;

die Luft hier ist tatsächlich süß.

Auf dass sie weitere Jahrhunderte verbringen.

 

Der alte knorrige Wallnussbaum vor unserem Haus, der viele Erdziegel zählt,

gibt mir die Brust für meinen Großvater, der mir hier jetzt schmerzlich fehlt.

Schaut man auf dem Balkonauf dem „Minder“ (Kissen) liegend in den Nachthimmel,

dann schwebt man förmlich zwischen aber Millionen Sternen in der tiefdunklen Nacht.

Es flößt Respekt und Ehrfurcht aus, man fragt sich, wer die Wage der Natur bewacht.

Raum klingt endlich, hier ist Unendlichkeit für sinnige und unsinnige Gedanken und Theorien.

Die Gedanken sind alle frei, neue Kombinationen sind erlaubt, man darf flieh‘n.

In einem der Tausend Spaziergänge durch die Sternenwolkengedanken

findet man doch einen bewohnbaren Planetengedanken, der sich bereisen lässt.

Der Mensch sollte stets in jede Perspektive schauen, ehe er die Welt bereist und verlässt.

 

Als ich den hellsten Stern sehe, geht mir ein Licht auf.

Haben eigentlich Achtsamkeit und Tafakkur etwas gemeinsam?

 

Die Achtsamkeit ist eine besondere Form bewusster Geisteshaltung, die über die einfache Aufmerksamkeit hinaus geht. Diese Qualität des menschlichen Bewusstseinszustands befähigt zu einer unvoreingenommenen Haltung gegenüber den Sinnesreizen, sie klar wahrzunehmen und mit den inneren und äußeren Erfahrungen im Alltag vorurteilsfrei zu vereinen.

Die Geisteshaltung der Achtsamkeit hat ihre Wurzeln in der buddistischen Lehre.

Tafakkur ist eine Technik der islamischen Spiritualität über das Nachsinnen über die Schöpfung.

Mit dieser Ergänzung kommt eine metaphysische und spirituelle Dimension hinzu, die ich zudem noch als Upgrade der Wahrnehmung und der Bewusstseinsqualität bezeichnen möchte. Diese Haltung erkennt hinter den Vorhängen der gesamten Naturbühne einen grandios-kreativen Schöpfer, Meister und Lehrer, der mit allergrößter Fürsorge und Liebe seine Wunder für seine Geschöpfe bereitstellt. Die häufigste Frage im Buch aller Bücher zählt: „Denken sie nicht?“

Das alles wäre mit Luft, Lärm und -JA!- auch Lichtverschmutzung nicht möglich. Das alles wäre nicht möglich, wenn mich ein Bildschirm in seinen Bann ziehen würde. Ärzte Prognostizieren für die Zukunft mehr Nackenbeschwerden. Aber nicht, weil sie zu sehr zu den Sternen hinaufschauen, sondern übermäßig viel nach unten auf ihre Smartphones schauen. Wir sollten mehr nach links und rechts schauen. Die Blume wahrnehmen, die sich durch den Asphalt sprengt. Die Kinder wahrnehmen, die sich in einer ausgrenzenden Gesellschaft hocharbeiten, oder dabei einknicken. Wir sollten viele Sternschnuppen erhaschen und mit eben diesem geübten Geist Chancen auf der Erde erhaschen, für unsere Zukunft und Zivilisation.

Solange wir die Natur achtsam wahren, wahren wir uns selbst. Solange wir die Natur mit Achtsamkeit spüren, spüren wir uns und erkennen unseren Schöpfer, der seine größten Zeichen in der Natur beherbergt. Das Geschenk Gottes, die „Wiege des Menschen“ -die Natur- nähert sich dem menschlichen Geschöpf sowohl auf intellektueller Ebene als auch auf emotionaler Ebene mit Fürsorge. Sie lehrt uns viele Unterrichtsstunden mit Technikvorlagen, scheut nicht davor zurück „die Mücke“ im Koran als Beispiel zu benennen; schenkt aber auch Trost.

„Man sieht nurmit demHerzen gut. Das Wesentlicheist fürdie Augen unsichtbar.“ (ASE)

Sagt ein Autor, der auch seine Figur in den Weltraum schickt. Es scheint ein Fluchtweg zu sein, für Menschen, die sich schwer tun die Erde und Erdlinge zu verstehen.

Wir sind dabei das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Wir lassen uns durch unwesentliche Dinge leicht in den Bann ziehen. Stundenlang können wir uns auf einen Bildschirm fixieren. Dann sagen wir auch noch „die Zeit ist verflogen“. Wir sollten sagen „Unsere Lebenszeit ist verflogen“. Die Zeit – das Einzige was Menschen durch nichts-tun zum Fliegen bringen können. Die meisten Gedanken haben jedoch gestutzte Flügel. Der Adler glaubt, dass er eine Henne sei, undim Gehege mit einem vorgegebenen Tagesrhythmus ebenso viele Eier legen müsse. Ist aber trübselig, weil sie kaum so viele Eier schafft und seine Flügel als zu breit und hässlich empfindet.

Durch Achtsamkeit und Tafakkur trainieren wir unseren Geist, Dinge wahrzunehmen, die wesentlich sind. Wir trainieren die Verbindung zwischen Natur und Mensch. Ein gesunder Körper braucht Training. Ein gesunder Geist und Intellekt brauchen ebenso regelmäßig Training. Also heben wir unsere Köpfe und schauen wir auch auf die kleinen Dinge. Dann erkennen wir, wie groß sie eigentlich sind und wie klein unsere Vorstellungskraft über sie war.

Denn nichts ist so wie es von außen aussah.

- Von Hüda Sag