Spiritualität im Unialltag
Als man mit dem Anliegen auf mich zugekommen ist einen Text über die „Spiritualität im Unialltag“ zu verfassen, hat es mich natürlich gefreut, dass man mich in Betracht gezogen hat über so ein wichtiges und spannendes Thema zu schreiben. Diese Vorfreude hat in mir viele (lose) Gedanken geweckt, über die ich schreiben wollte. Jedoch hatte ich Probleme dabei die Gedanken auf Papier zu bringen. Zu aller erst stellte ich mir die Frage was überhaupt Spiritualität ist. Handelt es sich hierbei um eine äußere Haltung oder eine innere? Oder gar beides? Je nachdem wie wir die Frage beantworten, eröffnet sich für uns ein Raum dieses Thema zu diskutieren und es in unseren praktischen Alltag umzusetzen.
Daher werde ich mich zunächst mit der Frage auseinandersetzen. Danach werde ich versuchen zu zeigen, dass Spiritualität nicht nur auf Taten bezogen ist, sondern oftmals auch eine innere Haltung darstellt. Hieraufhin bezogen werde ich Möglichkeiten aufzeigen, wie wir durch diese Haltung eine Spiritualität im Studium aufbauen können. Zum Schluss werde ich auf die Wichtigkeit der Belebung von besonderen und gesegneten Zeitpunkten um eine gute Balance zwischen Uni und Spiritualität zu schaffen.
Der ḤadīṯǦibrīl
Um der eben genannten Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit einem Ḥadīṯ auseinandergesetzt, der eine sehr zentrale Rolle in der Religion spielt und in Bezug auf die Spiritualität oftmals rezipiert wird. Ein jeder Muslim hat diesen Ḥadīṯ bestimmt schonmal gehört. Dieser Ḥadīṯ ist auch unter der BezeichnungḤadīṯǦibrīl bekannt: „ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb (r.ʿa.) überliefert: Als wir eines Tages mit dem Gesandten Allahs (ṣ.ʿa.w.) saßen, kam ein Mann auf uns zu dessen Gewand in einem heftigen weiß und dessen Haare in einem heftigen Schwarz war. Man konnte keine Spur einer Reise auf ihm sehen, jedoch kannte ihn auch keiner von uns. So saß er sich zum Propheten (ṣ.ʿa.w.) und stützte seine zwei Knie auf die zwei Knie des Propheten und legte seine zwei Handflächen auf die zwei Knie des Propheten. Er sagte: „O Muhammad erzähle mir über den Islam“, so sagte der Gesandte Allahs (ṣ.ʿa.w.): „Der Islam ist, dass man bezeugt, dass es keinen anderen Gott außer Allah gibt und dass Muḥammad der Gesandte Allahs ist, das Gebet zu verrichten, die Zakāh zu geben, im Monat Ramaḍān zu fasten und einmal die Ḥaǧǧ zu machen, wenn es einem möglich ist.“ Er sagte: „Du hast richtig gesprochen.“ Wir wunderten uns, denn er fragte und bestätigte ihn zugleich. Er sagt: „Dann erzähle mir über den Īmān.“ Er sagte: „An Allah, seine Engel, seine Bücher, seine Gesandten, an den letzten Tag und an die Vorherbestimmung sei es das Gute oder das Schlechte von ihm zu glauben.“ Er sagte: „Du hast richtig gesprochen.“ Und führt fort: „So erzähle mir über den Iḥsān.“ Er sagte: „Allah so zu dienen als ob du ihn siehst, selbst wenn du ihn nicht siehst so sieht er dich.“ (…) Danach ging er fort und ich verharrte für eine lange Zeit. Danach sagte der Prophet (ṣ.ʿa.w.) zu mir: O ʿUmar, weißt du wer der Reisende war?“ Ich sagte: „Allah und sein Gesandter wissen es.“ Er sagte: „Wahrlich er war Ǧibrīl, er kam zu euch um euch eure Religion zu lehren.“[1]
Aus dem Ḥadīṯ sind drei Dimensionen der Religion zu entnehmen. Die Dimension des Glaubens (Īmān), die Dimension der gottesdienstlichen Handlungen/ʿIbadāt (Islām) und die Dimension der Spiritualität (Iḥsān). Die letztere Dimension ist wie wir aus der Überlieferung heraushören können eine Bewusstseins- und Geisteshaltung. Wenn wir von einer Spiritualität im universellen Alltag sprechen, kommen wir jedoch nicht daran vorbei das eine innere Haltung auch zwangsläufig eine Auswirkung, die äußerlich sichtbar ist. Daher wäre es meiner Meinung nach passender, insbesondere für dieses Thema, die Spiritualität als eine zwei-seitige Münze zu verstehen. Auf der einen Seite haben wir Taten, die ein äußerer Ausdruck der Spiritualität ist und auf der anderen Seite eine Bewusstseinshaltung, die ein Ausdruck der inneren Dimension der Spiritualität ist. Zurückgehend auf den Ḥadīṯ wäre es treffend zusagend, dass der Islām die äußere Spiritualität darstellt und der Iḥsān die innere Spiritualität. Der Begriff des Iḥsān bedeutet sprachlich „eine Sache gut, schön, richtig zu tun“ oder aber „eine gute und nützliche Tat zu machen“.[2]Im Koran und in den Ḥadīṯen soll es aber eher im Sinne von „nützlicher Tat“ verwendet werden.[3]
Die Taten enstprechen ihren Absichten
Ein großes Missverständnis in unserer Zeit ist, dass wir ʿibādāt häufig als ausschließlich äußerlich sichtbare Taten sehen. Wie zum Beispiel das Ritualgebet, das Fasten oder die Ḥaǧǧ. Daher verstehen wir unsere Taten als Parameter unserer Spiritualität und Religiosität. Das heißt wir fühlen uns schlecht, dass wir auf Grund unseres Studiums keine freiwilligen Gebete oder freiwilliges Fasten vollziehen, sei es aus zeitlichen Gründen oder im Falle des Fastens aus Angst, dass unsere Produktivität darunter leidet. Man sollte mich hier nicht falsch verstehen, denn das tägliche Ritualgebet oder das Fasten im Ramaḍān sind Pflicht und essentieller Bestandteil der Religion, jedoch gibt es auch ʿIbādāt die innerlich zu machen sind. Einer dieser ist die Niyya (Absicht), welcher einen immensen Einfluss auf all unsere gottesdienstlichen Handlungen hat. Natürlich studieren wir ein Studienfach, die in unserem Interessenfeld liegt und von dem wir uns bei Abschluss eine finanziell gute Perspektive erhoffen, aber allein dies sollte für einen Muslim nicht die Motivation sein. Vielmehr sollte unsere Niyya sein unser Studium für das Wohlgefallen Allahs zu machen. In einem Ḥadīṯ heißt es „Vielmehr sind die Taten gemäß ihren Absichten. Für einen jeden Menschen gibt es, dass wofür er seine Absicht getroffen hat (…).“[4] Mit dem Wort Taten (Aʿmāl) sind hier die Bewegungen, das Verhalten, die Aussagen und die Taten des menschlichen Körpers gemeint. Al-Samʿānī soll gesagt haben „Wenn jemand eine erlaubte Tat tut und damit die Nähe zu Allah beabsichtigt hat, zum Beispiel um durch die Zunahme von Nahrung in seiner Dienerschaft und im Gehorsam zu ihm Kraft zu finden, so wird er dafür belohnt“.[5] Das heißt jede noch so banale Tat kann mit der richtigen Absicht zu einem Akt der Spiritualität werden. Das wir uns morgens auf dem Weg zur Uni begeben, das wir uns mit dem Stoff der Veranstaltungen auseinandersetzten oder aber das wir Nahrung zu uns aufnehmen damit unsere geistige Produktivität gesteigert wird, all dies wäre durch eine aufrichtige innere Bewusstseinshaltung eine ʿIbādah. Durch unsere innere Intention können wir also während unseres ganzen Studiums in einem dauerhaften Zustand der ʿIbādah sein.
Das Streben nach Wissen als Akt der Spiritualität
Wissen und das Streben nach Wissen sind essentielle Bestandteile des Islams. Ohne Wissen ist es uns nicht möglich einen fundierten und standhaften Glauben zu haben und unsere gottesdienstlichen Handlungen mit ihren inneren und äußeren Aspekten auszuführen. Aus diesem Grund soll der Prophet gesagt haben, „Das Streben nach Wissen ist Pflicht (Farḍ) für jeden Muslim und jede Muslima“. Einige Gelehrte sollen über diese Überlieferung gesagt haben, dass dies auch das Wissen einschließt welche Einnahmen erlaubt und welche verboten sind.[6]Abū al-Dardāʾ (r.ʿa.) soll sogar gesagt haben „Wer es nicht als Ǧihād ansieht in der Früh aufzustehen und Wissen zu suchen, der hat Mängel in seinem Verstand und seiner Vernunft.“[7] Wie auch schon vorher erwähnt, erhoffen wir uns mit dem Studium natürlicherweise auch zukünftig finanziellen Vorteil. Dies ist auch überhaupt nicht verwerflich, denn wir haben täglichen Ausgaben für uns selbst und unsere Familien, wir haben Mitmenschen, die wir finanziell unterstützen und versorgen müssen. In einem Ḥadīṯ heißt es hier zu „Wer sich hütet zu betteln und arbeitet um sein tägliches Brot zu verdienen, der gelangt zu der Stufe der Šuhadā“.[8]Und eben durch unser Studium erlernen wir das „Handwerk“ um unser tägliches Brot zu verdienen. Die Vorteile, die sich dadurch ergeben oder ergeben sollte wenn man sich ernsthaft mit seinem Studium auseinandersetzt ist, dass der Mensch Abstand nimmt von Spiel/Spaß und Faulheit. Er bändigt seinen Nafs und erzieht ihn. Und vielleicht einer der größten Vorteile ist, dass man vorbeugt finanziell von anderen abhängig zu sein.[9] Doch trotz all dem weiß der Muslim, dass das Studium und die Beschäftigung der wir danach nachgehen werden keinen Einfluss auf denRizq (Unterhalt) hat, denn Allah ist derjenige allein der den Geschöpfen Unterhalt gibt. Das Arbeiten oder Erwerben dient nur als Ursache (Sabāb) dafür, dass der Unterhalt kommt.
Duʿā als eine permanente Verbindung zu Allah
Das Bittgebet ist einer der besten Möglichkeiten für die Studierenden eine dauerhafte Verbindung mit ihrem Herrn aufzubauen. Um die Wichtigkeit des Bittgebets zu begreifen, reicht es eine Lektüre der Kapitel „Daʿawāt“ (Pl. Von Duʿā) in den Ḥadīṯbüchern zu vollziehen. Einige Gelehrte haben sogar nur zu diesem Zweck einzelne Werke verfasst. AbūHurayra (r.ʿa.) berichtet vom Propheten (ṣ.ʿa.w.), dass Allah gesagt haben soll, „Ich bin in der Annahme meines Dieners über mich und ich bin mit ihm wenn ein Bittgebet an mich richtet.“[10] Und des Weiteren soll der Prophet gesagt haben, „Das Bittgebet ist die (zentrale) ʿIbādah“ und soll daraufhin den Vers „Und euer Herr sagte: „richtet eure Bittgebet an mich, damit ich sie euch erwidere“ (Sura al-Muʾmin, Vers 60) [11]rezitiert haben. Anhand dieser Belege sehen wir, dass das Bittgebet die Quintessenz der ʿIbādah darstellt und eine große Hilfe ist um eine dauerhaft intakte Beziehung mit Allah aufzubauen. Dabei machen wir Duʿā nicht nur für Dinge, die uns Probleme zubereiten oder wenn uns ein Unheil getroffen hat, sondern auch dafür, dass diese Sachen uns in Zukunft nicht wiederfahren. Aber der Rahmen des Bittgebets ist viel größer als das. Es gibt für jede unserer Lebenssituationen spezielle Gebete, wie dafür um auf der Rechtleitung zu bleiben, für die rituelle Reinigung, beim Gebet, bei der Abgabe der Zakāh, für das Streben nach Wissen, für das Verlassen des Hauses, für Reisen und viele mehr. All dies ist ein Ausdruck dafür, dass Allah uns zu jedem Zeitpunkt mitseiner Barmherzigkeit und seiner Fürsorge begleitet.
Das Nutzen von besonderen Tagen und Zeitpunkten
Die Frage, die sich nach diesen Ausführungen hier stellt ist, ob wir denn überhaupt keine freiwilligen Gottesdienste verrichten sollen. Diese Frage sollte ein jeder individuell für sich selbst beantworten. Aus meiner persönlichen Erfahrung sei gesagt, dass man bei guter Planung sowohl sein Studium voranbringen kann, als auch genügend Zeit für seine Gottesdienste hat. Das Wichtigste ist, dass man sich sehr früh mit dem Stoff des Studiums auseinandersetzt und nicht erst kurz vor Beginn der Prüfungsphase. Dies hilft zweierlei: Zum einen hat man damit eine optimale Vorbereitung für die Prüfungen getroffen und zum anderen hat man in der Prüfungsphase ausreichend Freiraum für das Lesen des Korans, das Verrichten der Gebete oder aber auch Ḏikr. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser ganze „Stress“ sich positiv auf unsere Spiritualität auswirken kann. Ein jeder Student kennt die Phase wo er nach der Prüfungsphase ein oder zwei Monate frei hat und sich nicht mit etwas beschäftigt. Diese Zeit wirkt sich oft negativ auf unser alltägliches Leben aus. Wir werden faul, vernachlässigen unsere privaten Angelegenheiten, Familie, Freunde und begnügen uns nur mit dem Farḍ Gebet und unterlassen die Sunna Gebete, obwohl wir doch eigentlich viel mehr Zeit für diese Sachen haben sollten.
Wenn es jemanden nicht gelingt täglich etwas Zeit für die spirituelle Ebene zu nehmen, der kann sich einen bestimmten Tag in der Woche aussuchen an dem er sich Gottesdiensten widmet. Dabei eignet sich vor allem die segensreiche Nacht und der Tag des Freitags. Generell sollten besondere Tage und Zeitpunkte wie die Nacht des Barāʿah und der Laylat al-Qadr, der Tag von ʿAšūra, die ersten 10 Tage des Monats Ḏū al-Hiǧgah genutzt werden um eine Balance mit dem Studium zu schaffen.
– Von Harun Üfrük